Paul Klambauer: Kalte Wasser Paul Klambauer

Richard Jakobson stand in Shorts am Herd seines Appartements und beobachtete den schmelzenden Buttergletscher in der Pfanne, als er den Anruf aus Oslo erhielt: sein Vater hatte begonnen, sich einzuscheißen. Natürlich hatte Annie es anders ausgedrückt, sie sagte Dad sei da ein Malheur passiert, aber war es nicht ein wundervolles Beispiel dafür, dass der alte Weichkrempenträger sein Imperium auf dem flüchtigsten aller Fundamente errichtet hatte? Denn welche Worte man auch wählte, es änderte nichts an dem monolithischen Fakt, dass sein Vater auf dem Weg zu seinem Haus im Osloer Nobelvorort Lommedalen vorübergehend die Kontrolle über seinen Schließmuskel verloren hatte.
Richard klemmte den Telefonhörer zwischen Ohr und Schulter und nahm den Eierkarton aus dem Kühlschrankfach. Das Bild auf der Verpackung zeigte zwei stumpfsinnige Hennen vor einer rotgestrichenen Scheune. Über den Bergen im Hintergrund erhob sich eine übergroße Sonne, oder eine Nuklearexplosion fegte über den Horizont. Annies Stimme kam kratzig und abgehackt durch das Telefon. Sie musste im Garten sein, am äußersten Rand des Empfangsbereiches des Haustelefons in Lommedalen. Richard sah sie deutlich vor sich, auf der Steinmauer des Gemüsebeets sitzend, barfuß, die Spitzen ihres schwarzen Haars im Mundwinkel. Sie sagte, der Vorfall hatte sich auf dem Rückweg von einem Café direkt an der Küste ereignet. Dort hatten Annie, Dad und seine neue Freundin Sekt getrunken und seine Nominierung für den Gyldendal-Preis gefeiert. Der Alte war wohl in gehobener Stimmung gewesen, denn im Wagen pries er unablässig die einmalige Qualität des nordischen Lichtes und das tiefe Aquamarin des Meeres um die Klippen.
An einem braun gesprenkelten Ei klebte eine Daunenfeder, Richard griff nach den drei anderen, schlug sie auf und sah zu wie sich ihr klares Inneres auf dem heißen Metallboden der Pfanne weiß färbte. Er hatte unzählige dieser Vorträge seines Vaters auf ihren Urlaubsfahrten in den Süden ertragen. Ihm kam es damals so vor, als ob nicht einmal der stahlgraue Himmel und die Wellen vor ihm sicher waren. Alles nahm er in Beschlag und legte sich über die Küste wie der Ölfilm in den Fernsehbildern, wenn wieder ein Tanker auf Grund gelaufen war.


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